Was Wiesbadenerinnen und Wiesbadener jetzt gerne lesen

"Die wahren Abenteuer sind im Kopf"... weiß der Volksmund.
Wiesbadenerninnen und Wiesbadener schlagen Bücher vor, mit denen Sie auf dem Sofa durch Zeiten und Welten reisen  und Neuland entdecken können.
Dazu: Adressen von lokalen Buchhandlungen, die Ihre Lieblingslektüre ins Haus liefern und Online-Bibliotheken, in denen Sie gratis Lesestoff finden.

Gert-Uwe Mende

ist seit dem 2. Juli 2019 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden
Foto: Angelika Aschenbach

 

 

Ein Schelmenroman

Tyll, Daniel Kehlmann

Diese Rubrik steht ja unter dem Motto "Abenteuer im Kopf". Eines der größten Abenteuer erlebt Tyll im gleichnamigen Roman. Ich komme ja selten dazu, mal ein dickes Buch privat zu lesen, dieses habe ich verschlungen.

Daniel Kehlmann verlegt die Geschichte vom großen Gaukler Till Eulenspiegel gekonnt in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und erschafft ein pralles, manchmal beängstigendes, manchmal belustigendes Panorama, das uns diese ferne Zeit ganz nahe bringt. Ein Geschichtsbuch ist es mit seiner Vermischung von Fiktion und Fakten natürlich nicht, sondern ein
Geschichtenbuch, das episodenhaft eine Fülle von Eindrücken vermittelt, von religiösem Eifer über maßlose Gewalt bis zur plastischen Schilderung von dörflichem oder höfischem Leben im Schatten des großen Kriegs. Das Buch lebt von Widersprüchen und Irritationen, von der Spannung zwischen Einfühlsamkeit und Abscheu und von einer dichten  Sprache, die direkt unter die Haut geht.
„Tyll“ steht in dieser Saison auch auf dem Spielplan des Staatstheaters Wiesbaden, das auch der Corona-Zwangspause unterliegt. Deshalb mein Tipp: jetzt das Buch lesen und später die Theaterfassung ansehen.
Rowohlt Verlag, Paperback, 480 Seiten, 12 Euro, Hörbuch 15 Euro

Christa Gabriel

ist Stadtverordnetenvorsteherin, Vorsitzende des Ältestenausschusses, Mitglied im Haupt- und Finanzausschuss, Mitglied im ständigen Wahlvorbereitungsausschuss, Ortsvorsteherin Mainz-Kastel und Mitglied im Ortsbeirat Mainz-Kastel.
Foto: Angelika Aschenbach

 

 

Ein Wiesbaden-Thriller

Die Einsamkeit der Schuldigen - Das Verlies, Nienke Jos

"Ein Mann verschleppt eine Fremde. Eine Beobachterin der Szene verschweigt, was sie gesehen hat. Zunächst. Und dann wird es wirklich spannend. Sieben Schicksale vermeintlich Fremder verstricken sich auf atemberaubende Weise, und die Charaktere sind psychologisch derart plausibel, dass ich wirklich in die Handlung eintauchen konnte. Mehr als 500 Seiten dick ist "Das Verlies", der erste Teil dieses zweiteiligen Thrillers.
Normalerweise hätte mich der schiere Umfang abgeschreckt, aber jetzt, mit mehr Zeit, habe ich die Kapitel in nur einer Woche geradezu verschlungen. Die Autorin Nienke Jos ist Wiesbadenerin und hat, zu meinem großen Lesevergnügen, einige Schauplätze unserer Heimatstadt eingebaut, darunter das Nerotal und Klarenthal.
Ich freue mich schon auf Teil zwei, "Der Abgrund", weiere gut 500 Seiten, die es mir möglich machen, eine kleine Weile nicht nur an unsere Krise zu denken."
Gmeiner Verlag, 2019, Band 1, 16 Euro (Taschenbuch)

Stefan Schröder

war bis zum 31. März 2020 Chefredakteur beim Wiesbadener Kurier. In seinem wöchentlichen Podcast "Schröder trifft" führt er Interviews zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen.
Foto: Sascha Kopp

 

 

Ein Klassiker

Weiße Nächte, Fjodor M. Dostojewski

"Oh, mein Gott! Eine ganze Stunde der Seligkeit! Ist das etwa wenig, selbst für ein ganzes Menschenleben?" Dostojewskis Ich-Erzähler hat gerade eine Riesenenttäuschung erlebt. Seine bis dahin einzige große Liebe, die junge Nastenka, bleibt doch bei einem anderen. Alle Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft hat sich soeben zerschlagen. Aber der träumerische Petersburger macht es wie die Sonnenuhr - er zählt im Nachhinein die schönen Stunden nur. Dazu muss man wissen, dass es in Sankt Petersburg wie in allen Orten des hohen Nordens das Naturphänomen der "Weißen Nächte" gibt. Während dieser Wochen im Juni gibt es nur wenige Augenblicke Dunkelheit, die Menschen bewegen sich wie in Trance im Freien; mittlerweile ist diese Zeit in Sankt Petersburg die Touristenattraktion schlechtin.
Bei Dostojewski, dem Freund der armen Leute, treffen sich vor rund 150 Jahren zwei einsame Menschen an einem der malerischen Kanäle im Venedig des Nordens. Die wenigen Tage der Zweisamkeit erleben sie wie einen Rausch.
Das Buch ist schnell gelesen und lässt einen trotz der verlorenen Liebe getröstet zurück.
Insel Taschenbuch, 106 Seiten, 6 Euro

Gordon Bonnet

ist Jurist, Wirtschaftsmediator, Journalist, Mitglied der Geschäftsleitung der circ gmbh & co. kg, Agentur für Live Communication und Creative Consulting sowie Head of Communication  des Grameen Creative Lab; davor war er langjähriger Geschäftsführer der IHK Wiesbaden.
Foto: Silv Malkmus

 

 

Ein Wegweiser

Stille, Erling Kagge

In dieser schwierigen Phase der Pandemie haben viele von uns auf einmal etwas, das schon verloren geglaubt schien: Muße. Nutzen wir die Zeit, uns zu besinnen. Wer wir sind, war wir im Leben erreichen wollen, was uns bei der sonstigen Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit wirklich wichtig ist. Nehmen wir uns die Zeit, ein gutes Buch zu lesen. Seit dem 18. März empfehle ich jeden Tag ein Buch in meinem Videopodcast auf meiner Facebook-Seite; darunter sind Sachbücher, Ratgeber, Kinderbücher und Romane.
Ein Juwel in meiner Sammung ist das bezaubernde Buch "Stille" des norwegischen Abenteurers Erling Kagge. Als Erster in der Geschichte hat er die drei Pole erreicht - Süd- und Nordpol und den Mount Everest. Üblicherweise berichtet er bei seinen Vorträgen von seinen Extremtouren an den Enden der Welt, doch bei einem Vortrag hielt er inne und sprach spontan über die Stille, die er erlebt hatte. Die Stille um uns herum und die Stille, die wir in uns haben. Was ist die Stille? Kagge gibt in seinem "Wegweiser" dreiunddreißig Versuche einer Antwort. Das ist zum Teil so berührend, dass mir Tränen in die Augen schossen. In wenigen Worten ergründet er tiefsinnig, wo die kostbarsten Momente des Lebens zu finden sind. Das ist geradezu atemberaubend, poetisch und wahrhaftig.
Insel Verlag, 144 Seiten, 14 Euro

Arno Goßmann

war zwischen Oktober 2007 und Juni 2017 hauptamtlich für die Landeshauptstadt Wiesbaden tätig, bis August 2011 als Sozialdezernent und danach unter anderem als Bürgermeister, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialdezernent und ist heute Ratsmitglied der Stiftung Gesundheitsstadt Wiesbaden.
Foto: privat

 

 

Ein Kuba-Krimi

Adiós Hemingway, Leonardo Padura

Vor der Corona-Krise hatte ich Gelegenheit, einen alten Traum zu verwirklichen und mit meiner Frau die legendäre Insel Kuba zu besuchen. Mit Kuba verbindet sich für mich ein großes Interesse an seiner wechselhaften Geschichte und dem Schriftsteller Ernest Hemingway, dessen Werke ich schon in jungen Jahren geschätzt habe, zum Beispiel "Der alte Mann und das Meer".
Was gibt es nichts Schöneres als die Lektüre eines spannenden  und historisch interessanten Krimis in der Karibik. Die Kriminalgeschichte selbst ist gut aufgebaut mit einem veritablen Spannungsbogen.
Vierzig Jahre nach Hemingways Tod wird auf seiner Finca bei Havanna eine Leiche gefunden, getötet mit zwei Kugeln aus einer Maschinenpistole seiner berühmten Waffensammlung. Wer ist der Tote? Was etwa Hemingway der Mörder?
Die kubanische Polizei ist nervös, weil sie eine übermäßige Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vermutet, die auch die Politik unter Fidel Castro nicht gebrauchen kann.
Der Autor des Buches, Leonardo Padura, preisgekrönt und Verfasser des berühmten Havanna-Quartetts, erfindet mit dem Ex-Polizisten Teniente Mario Conde den idealen Ermittler, nicht nur wegen seiner hohen Kompetenz, sondern auch als Figur, die wie Padura eine Art Hassliebe mit Hemingway verbindet. Conde würde am liebsten Hemingway des Mordes überführen, indes sein Berufsethos verlangt nach objektiver Aufklärung.
Der Krimi schildert spannend die Umstände der Tat mit einer Beschreibung der letzten Tage Hemingways auf seiner Finca und gibt zudem einen tiefen Einblick in die ambivalente Beziehung Hemingways zu seiner Wahlheimat, die liebenswürdigen und dunklen Seiten des Schriftstellers treten hervor. Gewürzt wird dies duch Eigenheiten des Teniente, seine sexuellen Begierden und die Liebe zum Rum.
Das Ende des Krimis und Hemingways letztes Geheimnis ist überraschend und hängt an einem Spitzenhöschen.
Unionsverlag, 192 Seiten, Hardcover 17,90 Euro

Prof. Dr. med. habil. Jürgen E. Schmitz

war unter anderem Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin an den Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken (HSK), Ärztlicher Direktor der HSK, Medizinischer Geschäftsführer der HSK-Holding sowie mehrerer nachgeordneter Gesellschaften. Seit Mitte 2012 ist er im Ruhestand.
Foto: privat

 

 

Ein Exkurs in die Weltpolitik

Prisoners of Geography, Tim Marshall

"Ten Maps That Tell You Everything You Need To Know About Global Politics", heißt das Buch im Untertitel. Und ich empfehle es allen, die sich für Weltpolitik und ihre Zusammenhänge interessieren und gleichzeitig ihre englischen Sprachkenntnisse aufrechterhalten oder verbessern wollen. Tim Marshall ist britischer Journalist und Experte für Außenpolitik. Mich faszinieren die Erläuterungen zu den Zusammenhängen zwischen den geografischen Bedingungen eines Landes und den daraus zum Teil zwangsweise folgenden geopolitischen Entscheidungen in Vergangenheit, Gegenwart und voraussichtlich in der Zukunft. Unter anderem zeigt er, warum die strategische, völkerwidrige Annexion der Krim, trotz des internationalen Drucks und der damit verbundenen Repressalien, aus russischer Sicht unumgänglich war: Bedingt durch die geographische Lage und die damit verbundenen klimatischen Bedingungen, liegt im russischen Winter der einzige eisfreie Hafen - und damit der Zugang der russischen Flotte zu den Weltmeeren - auf der Krim. Dieses Beispiel ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Beobachtungen und Schlussfolgerungen des Autors. Weitere Kapitel befasssen sich mit China, den USA, Europa und anderen Wirtschaftsräumen und Nationen und der Bedeutung ihrer geographischen Lage für ihre Außenpolitik.
Verlag Eliott & Thompson, 2016, Taschenbuch, ca. 13 Euro

Saskia Veit-Prang

ist die Kommunale Frauenbeauftragte und Ansprechpartnerin für frauenrelevante Fragen und Gender-Aspekte in Wiesbaden.
Foto: privat

 

 

Ein Mehrgenerationenbuch

Urmel aus dem Eis, Max Kruse

Die Urmelgeschichten sind für mich eine Zeitreise. Die gesamte Buchreihe habe ich durch mein ganzes Leben wie einen Schatz gehütet.  Einst waren es meine Bücher, dann die meiner drei Kinder, und jetzt lese ich meiner Enkelin Sätze vor, die mir als Kind von meinen älteren Geschwistern vorgelesen wurden: "Es war vor vielen Millionen Jahren. Damals legte Mutter Urmel das Urmel Ei am Ufer des großen Meeres in den Sand, wie sie es bisher immer mit ihren Eiern getan hatte. Aber bald darauf begann es zu schneien. Es wurde immer kälter und kälter, und noch kälter." Heute rücken meine Enkelin und ich an dieser Stelle wohlig fröstelnd enger zusammen, und dann tauchen wir ein in das Universum von Naturkundeprofessor Habakuk Tibatong, der mit seinen sprechenden Tieren auf der Insel Titiwu lebt, wo eines Tages ein Eisberg  mit einem großen Ei angeschwemmt wird. Und wie vor Jahrzehnten, bin ich wieder ergriffen vom Urmel, dem letzten seiner Art, einem evolutionären Bindeglied zwischen Dinosauriern und Säugetieren. Ich freue mich, wenn es einmal wieder dem König Futsch entfliehen kann, der es in Gefangenschaft nehmen möchte. Das Entkommen gelingt dem Urmel immer nur mit Hilfe seiner Freunde - Wesen, die nicht zu unterschätzen sind, obwohl sie zunächst tollpatschig und hilflos scheinen. Und ist das nicht auch so in unserer Welt? Wie oft erweisen sich vermeintlich Schwache als Helden, wenn es drauf ankommt? Und es sind fast immer Freunde und die Familie, die für uns da sind und uns Wege und Auswege weisen, wenn wir uns im Alltag verfangen haben oder in einem Meer aus Sorgen kein Ufer erkennen können. Die Urmelgeschichten sind auf eine erstaunliche Art lebensklug, und sie eröffnen eine Tür in das völlig eigene Universum der Fantasie, der Abenteuer und der neuen Realitäten. Für die Dauer einer Urmelgeschichte unserer Gegenwart zu entkommen, das tut mir gerade in diesen Wochen gut. Wir alle in meiner Familie lieben es zu lesen. Wer liest, ist nie alleine!
Urmel - Alle Bilderbuchgeschichten, Thienemann Verlag, 144 Seiten, 14,95 Euro

Ralf Jäger

ist Geschäftsführer der EGW Gesellschaft für ein gesundes Wiesbaden mbH, die unter anderem dieses Portal betreibt.
Foto: Reinhard Berg

 

 

Eine Zeitschriftengeschichte

Letters of Note - Briefe, die die Welt bedeuten, Shaun Usher

„Sehr geehrter Herr Präsident, in der heutigen Zeitung erinnert mich ein Foto von Ihnen beim Wachtelgrillen daran, dass ich Ihnen noch immer nicht das Eierkuchenrezept geschickt habe, das ich Ihnen auf Balmoral versprochen hatte. Nun beeile ich mich, dies nachzuholen, und ich hoffe, sie werden ein Erfolg.“ Das schrieb Königin Elizabeth II 1960 an den amerikanischen Präsident Dwight D. Eisenhower, natürlich auf einem handgeschöpften Bogen mit Tinte in  ordentlichen Lettern.
Ziemlich krakelig sieht dagegen Leonardo da Vincis Bewerbungsschreiben beim Mailänder Stadtregenten aus. Aufträge in der Stadt, darunter das „Abendmahl“, hat er bekanntlich dennoch bekommen. Und auch Iggy Pop, der  amerikanische Urvater des Punk, hat eine ziemliche Klaue. Wie es aussieht, hat er einen dünnen Tintenroller oder Kuli
benutzt, einige Wörter sind energisch durchgestrichen, andere grob unterstrichen, und das Meiste bleibt ziemlich unleserlich. Heinz jedenfalls, wird die Zeilen hunderte Male studiert haben. Er ist nämlich der Adressat, ein Fan, dem der Star auf einen vermutlich klugen Kommentar zu seiner Musik zwei Seiten lang geantwortet hat. Jedenfalls wünscht
er Heinz am Ende „good fucking luck + thanks“.
Mehr als 125 originale Briefe sind im Buch abgedruckt, man kann die Struktur des Papiers erkennen und versuchen, die Handschriften in den jeweiligen Sprachen zu entziffern. Falls das misslingt, gibt es die Übersetzung in Druckbuchstaben und kurze Porträts der Schreiber. Gerade jetzt hole ich diese Briefsammlung aus vielen Jahrhunderten und Ländern immer mal wieder aus meinem Bücherregal, denn sie fasziniert mich aus vielen Gründen. Zum einen mag ich  Schreibutensilien wie Füller und schönes Papier, zum anderen zeigen mir die Inhalte der Briefe, worum es Menschen in
allen Zeiten, Ländern und Berufs- und Alltagswelten geht: eine Verbindung zueinander zu schaffen, sich  auszutauschen, verstanden zu werden und einander zu verstehen.
Außerdem inspiriert mich das Buch, selbst mal wieder einen handschriftlichen Brief zu verfassen, statt immer nur zu tippen oder über Monitore und Lautsprecher zu kommunizieren. Ist es nicht eine Freude, den Briefkasten zu öffnen und einen Umschlag in den Händen zu halten, in dem kein Bescheid, keine Rechnung oder Werbung steckt? Zeilen zu lesen, die eine Person, an der einem liegt, von Hand geschrieben hat, das macht für mich den Abstand, der in Zeiten des Social Distancing erforderlich ist, ein wenig kleiner.
Die Alternative zum Buch ist das Letters of Note Online-Archive mit Abbildungen von mehr als 500 alphabetisch geordneten Briefen und ihren Übersetzungen ins Englische.
Heyne Verlag, 408 Seiten, 35 Euro

Silke Meinzinger

ist Mitarbeiterin im Antiquariat Zweitbuch, einem der lokalen Läden, der Lesestoff kontaktlos und gratis zu Ihnen nach Hause bringt (weitere Adressen siehe unten).
Foto: privat

 

 

Eine Lebensgeschichte

Das deutsche Krokodil, Ijoma Mangold

 „Erst im Schreiben ging mir auf, dass es zum Beispiel Verhaltensweisen von mir gibt, die eindeutig eine Reaktion sind auf mein Aussehen. Quasi eine prophylaktische Reaktion, wenn man so möchte. Also dieses etwas übertriebene gestochene Hochdeutsch, das ich so schnell anschlage und spreche, ist glaube ich auch der Versuch immer gewesen: Ich sehe nicht aus wie ein Deutscher, aber lasst mich nur einen Satz sagen, dann werdet ihr keinen Zweifel mehr an meinem Pass haben“, sagt Ijoma Alexander Mangold, vielfach prämierter Literaturkritiker und Autor und aktuell kulturpolitischer Korrespondent der Zeit. Über sein Aussehen hat er einmal geschrieben, dass er damit „erkennbar das Klassenziel der Nürnberger Rassengesetze verfehlt hätte.“
Seine Mutter, eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, ist in Schlesien geboren, sein Vater, ein Kinderchirurg, stammt aus Nigeria.
Jioma Mangold erzählt die Geschichte seines Aufwachsens in Heidelberg in den siebziger Jahren. „Das deutsche Krokodil“ ist zum einen der Name der Märklin-Güterzuglokomotive, die er sich als kleiner Junge so sehnlich zu Weihnachten wünscht, und zum anderen eine Metapher für die Gefühlslage des Heranwachsenden. Sie ist geprägt von der Zerrissenheit zwischen, im wahrsten Sinne der Wörter, seinem Mutter- und seinem Vaterland. Schließlich führt ihn die Suche nach Identität im jungen Erwachsenenalter nach Nigeria, wo er zum ersten Mal seine afrikanischen Verwandten trifft.
Inspirierend finde ich, mit wie viel Humor der Autor innere und äußere Konflikte beschreibt. Seine optimistische Sicht, auch auf schwierige Seiten des Lebens, hat mich sehr beeindruckt und mich oft zum Lachen gebracht. Und Lachen zu können, tut mir immer gut, besonders in diesen Wochen.
Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 19,95 Euro 

Jörg Jerger

ist Vertriebsbeauftragter für Zielgruppenkonzepte des R+V Konzerns und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Gesundheitsstadt Wiesbaden, doch der Buchtipp stammt von seiner Tochter Elli Jerger. Sie geht in die dritte Klasse und ist die jüngste Leseratte der Familie.
Foto: privat

 

 

Drei Leseabenteuer

Hummelbi - mehrere Bände, Tanya Stewner
Liliane Susewind - mehrere Bände, Tanya Stewner
Familie Flickenteppich - mehrere Bände, Stefanie Taschinski

Stiftung Gesundheitsstadt Wiesbaden (SGW): Liebe Elli, du hast gleich drei Empfehlungen für uns, nämlich drei Buchreihen. Was macht ein Buch für dich spannend?
Elli Jerger: Ich finde Bücher spannend, wenn ich beim Lesen so richtig in die Geschichte eintauchen kann und ich das schon auf den ersten Seiten merken kann.

SGW: Was ist Hummelbis Geschichte?
EJ: Hummelbi ist eine Elfe, sie kann fliegen und hat eine Trillerpfeife, mit der sie Hummeln anlockt. Dann freundet sie sich mit einem Menschenmädchen an, das den Elfen hilft. Die Menschen verwechseln die Feen mit Elfen und so wird die Macht der Feen immer größer. Wenn Menschen also Bücher über Feen lesen, dann beeinflusst dies die Macht der Feen, die damit immer größer wird. Elfen sind klein wie Daumen und eher rundlich.

SGW: Was magst du an Hummelbi besonders gern?
EJ: Sie ist witzig, nett und mutig - mutiger als ich es bin. Und natürlich wäre es cool, wenn ich auch fliegen könnte.

SGW: Wohin würdest du denn fliegen?
EJ: Ich würde so hoch es geht hinauffliegen und die Welt einmal von oben betrachten, unser Haus und die ganze Stadt.

SGW: Und was könnte Hummelbi von dir lernen?
EJ: Naja, lesen und vielleicht schwimmen. Federball spielen kann ich auch ziemlich gut, aber dafür wäre Hummelbi viel zu klein.

SGW: Und wer ist Liliane Susewind?
EJ: Liliane, genannt Lilli, ist ein Menschenmädchen, aber sie kann mit Tieren sprechen und wenn sie an einer Blume vorbei geht und lacht, dann geht es der Blume besser. Das würde ich auch gern können!  

SGW: Aber wenn du lachst, geht es deinen Eltern besser, das kann Lilli nicht!
EJ: Ja, das stimmt!

SGW: Und wer ist Familie Flickenteppich?
EJ: Das ist gar keine richtige Familie, sondern eine Hausgemeinschaft. In dem Mehrfamilienhaus Nummer 11 in einer kleinen Stadt wohnen zwei Familien mit Kindern, eine einzelne alte Dame und ein altes Ehepaar. Die Kinder kommen dann gemeinsam einem Geheimnis auf die Spur.

SGW: Wärst du da mal gern zu Besuch mit deiner Familie?
EJ: Das wäre schön. Die Kinder sind wie Geschwister füreinander und zum Beispiel die alte Dame nennen alle „Oma“. Ich würde mich da sehr wohl fühlen und meinen Eltern würde es auch gefallen.

SGW: Würdest du die Bücher auch Jungs empfehlen?
EJ: Die Familie Flickenteppich vielleicht schon, da kommen auch Jungs vor, aber die anderen Bücher nicht. Ich glaube nicht, dass Jungs kleine Elfen interessant finden oder Mädchengeschichten überhaupt. Ich glaube, die finden das kindisch.

SGW: Was ist der Unterschied zwischen Jungs- und Mädchenbüchern?
EJ: Jungs wollen hauptsächlich über Abenteuer und Jungs lesen und Mädchen über Zauberwesen und Mädchen, damit sie sich besser in die Geschichte eindenken können.

SGW: Einige Kinder lesen nicht besonders gern. Welches Buch würdest du empfehlen, damit sie es doch noch einmal probieren?
EJ: Etwas Dünnes mit vielen Bildern würde ich empfehlen, vielleicht einen Comic. Aber keinen mit viel Text wie Asterix und Obelix, sondern vielleicht eher ein Micky Maus-Heft. Und dann würde ich ihnen immer dickere Sachen geben, am Ende bis fünf Zentimeter. Ich glaube, das müsste helfen.

SGW: Liebe Elli, vielen Dank für das Interview!

Hummelbi, Fischer Taschenbuch, 7,99 Euro pro Band, Hörbuch gratis bei Audible;
Liliane Susewind, Fischer Taschenbuch, 7,99 Euro pro Band, Hörbuch gratis bei Audible; Spiele und Kreativ-Ideen für Kinder ab ca. acht Jahren gibt es auf der Liliane-Susewind-Webseite
Familie Flickenteppich, Oetinger Verlag, 14 Euro pro Band, Audio-CD 15 Euro

Ihre Favoriten

Haben Sie ein Lieblingsbuch in der Krise wieder- oder neu entdeckt?
Wenn Sie sich und Ihren Buchtipp, Adressen und andere Informationen für Lesebegeisterte hier vorstellen wollen, schreiben Sie an: info@stiftung-gesundheitsstadt-wiesbaden.de

 

Gratis Lesestoff im Netz